Konzert - Kammerchor in der Stadtbibliothek
Madrigalkunst und Opernchöre
VON MARKUS HERR
REUTLINGEN. »Gehst du nach Italien, so nimm mich mit, es friert mich hier.« Diesem Satz aus einem Werk Johann Wolfgang von
Goethes kann man sich nur anschließen angesichts des bisher eher durchwachsenen Sommers hierzulande. Jede Sonnenstunde wird
genutzt, und daher verwundert es nicht, dass der Andrang am Freitagabend groß war, als der Reutlinger Kammerchor Stücke
präsentierte aus dem »Land, wo die Zitronen blühen«.
Zwischen Romanen und Comicbüchern lauschte das Publikum in der Reutlinger Stadtbibliothek der kleinen aber feinen
musikalischen Reise durch Italiens Madrigalkunst und Opernchöre. Werke von Adriano Banchieri, Claudio Monteverdi und Giovanni
Gastoldi waren das erste Ziel der Reise. Eine Welt voller musikalischer Spielereien und Andeutungen, die die Zuhörer
offensichtlich mindestens so begeisterten wie den Chor selbst.
Tierischer Kontrapunkt
Wie klingt es wohl, wenn Hund, Katze, Eule und Kuckuck gemeinsam einen Kontrapunkt singen? Was passiert, wenn Leier und
Maultrommel vokal imitiert werden? Fragen, auf die italienische Madrigalkomponisten erheiternde Antworten komponierten.
Der Reiseleiter dieses musikalischen Ausflugs, Marcel Martinez, der den Chor seit Oktober 2015 leitet, sensibilisierte durch
kurze Anekdoten und kleine historische Einordnungen die Zuhörer für die Besonderheiten der Stücke. Dass nicht nur die Stücke
humorvoll sind, sondern auch er, bewies sein thematisch passend mit einer großen Zitrone bedrucktes T-Shirt, das er unter
seinem Sakko trug.
Das zweite Reiseziel wurde nach einer kurzen Pause erreicht: Schlaglichter aus der Welt der Opernchöre von Giacomo Puccini,
Giuseppe Verdi und Gioachino Rossini. Begleitet von Judith Ferrer am Klavier streifte der Kammerchor berühmte Werke wie
»Nabucco« (»Va pensiero«) oder »Il Trovatore« (»Vedi! Le fosche«) und weckte damit Fernweh; genau das Gegenteil dessen,
was die Stücke ursprünglich erweckt haben.
Mit vollem Einsatz
Wie es sich für eine Oper gehört, gab es auch Intermezzi in Form zweier Stücke für Klavier als kleine Auflockerung und
Abwechslung. Martinez führte den Chor mit seinem weichen, aber klaren Dirigat problemlos durch die Höhen und Tiefen der Werke,
und so war es nicht verwunderlich, dass der Chor – mit vollem Einsatz bei der Sache – den Funken auf das Publikum überspringen
ließ. Mit akzentuierter Aussprache behauptete er sich auch in der vergleichsweise trockenen Akustik der Stadtbibliothek.
Natürlich gehört zu einer gelungenen Reise auch ein Abschlussessen, das im Programm als Stück »Insalata Italiana« von
Richard Genée (1823–1895) aufgetischt wurde. Am Wetter konnte der Reutlinger Kammerchor zwar leider nichts ändern.
Doch wenigstens gab er seinem Publikum das Nötigste mit, um sich in sommerliche Stimmung versetzen zu können: Heiterkeit
und Gelassenheit – aus dem »Land, wo die Zitronen blühen«.
Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers