Porträt - Der Katalane Marcel Martínez, Kirchenmusiker an der Christuskirche, leitet den Reutlinger Kammerchor

Balance aus Wissen und Spaß ist gefragt

VON ARMIN KNAUER

REUTLINGEN. Es ging zuletzt turbulent zu am Pult des Reutlinger Kammerchors. Als Christa Feige sich 2011 nach 18 Jahren zurückzog, kam Roman Schmid – und musste nach einem guten Jahr aufgrund der familiären Situation passen. Ihm folgte Christoph Mehner, der mit seiner fordernden Art manches erreichte, darüber aber den Rückhalt im Chor verlor. Man trennte sich, holte projektweise für einen Kulturnacht-Auftritt Ulrich Krämer, der dem Chor jedoch nur blockweise Proben anbieten konnte.

»Unser Chor war am Auseinanderbrechen«, sagt Vorstandsmitglied Benn Kobler. Daher fackelte er nicht lange, als er bei einem Konzert in der Christuskirche als Besucher den dortigen Kirchenmusiker Marcel Martínez mit seinem Frauenchor erlebte. Da schien einer nicht nur Können, sondern auch Spaß an der Sache zu haben. Kobler fragte, ob er sich nicht auch beim Kammerchor bewerben wolle – schon hatte der krisengebeutelte Klangkörper einen neuen Taktgeber.

Der Mann aus Barcelona hat in seiner Heimat Orgel und Cembalo studiert und kam nach Deutschland, weil es nur hier Kirchenmusik als eigenen Studiengang gibt. Er studierte in Rottenburg, übernahm 2010 die Organistenstelle an der Reutlinger Christuskirche und 2011 nach dem Weggang von Tanja Luthner auch den Chor. Den einst legendären, zuletzt aber bröckelnden Kantatenchor erfand er als reinen Frauenchor neu – und hat nun über 30 Sängerinnen in den Reihen.

Ein Chor mit Groove

Den Frauenchor hat er behalten, ein gemischter Chor habe ihn aber gereizt. Weil es dafür viel einfacher sei, Literatur zu finden. Und weil er mit dem Kammerchor auch weltliche Musik machen kann. Letztlich aber auch der Qualität wegen: »Der Chor hatte schon einen Groove, das ist für einen Chorleiter ein Bonbon!«

Mit Charme, Wissen und unterhaltsamer Vermittlung ist er beim Chor gut angekommen. »Die Sänger machen das in ihrer Freizeit, denen muss ich etwas anbieten, damit es Spaß macht«, erklärt Martínez. Es gehe dabei nicht darum, den Showman zu machen, sondern Freude am Lernen zu vermitteln. Eine bildhafte Sprache sei wichtig, sein Dirigat, Psychologie. »Wenn ein sängerisches Problem auftaucht, nehme ich die Last vom Chor und biete eine Lösung an.« Jede Woche bietet er eine halbe Stunde vor der Probe im Wechsel Stimmbildung und Vom-Blatt-Singen an.

Konzert diesen Freitag

Das Konzert diesen Freitag um 20 Uhr in der Christuskirche steht im Zeichen von Passionsmusik aus Italien, Portugal und Spanien im 16./17. Jahrhundert. In drei Blöcken spielt das Programm die Abfolge musikalischer Formen durch, wie sie in den katholischen Gottesdiensten dieser Länder an Palmsonntag, Gründonnerstag und Karfreitag damals üblich war. Drei Liturgie-Zyklen, denen Martínez Projektionen von Kunstwerken des 16. und 17. Jahrhunderts gegenüberstellt – und rituelle Elemente wie den Einmarsch des Chores an einer bestimmten Stelle. Solche Inszenierungen mag er.

Das nächste Konzert am 17. Juni soll ein weltliches werden unter dem Motto »Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?« Mit Madrigalen von Monteverdi, Chormusik von Rossini und Opernmusik von Verdi und Puccini. Von Renaissance bis Moderne ist Martínez an allem interessiert. Auch die Neue Musik ist ihm ein Anliegen.

Wiederbeleben möchte er die Chorreisen, die unter Christa Feige Tradition waren, danach aber einschliefen. »Ich hätte große Lust, zum Reformations-Jubiläum 2017 mit dem Chor ein Programm zu Luther in meiner Heimatstadt Barcelona zu präsentieren«, schmiedet er Pläne. Was seine katalanische Heimat betrifft, so befürwortet Martínez im Übrigen ein Selbstbestimmungsrecht seines Volkes. Er findet, die Katalanen sollten, so wie die Schotten, abstimmen dürfen, ob sie bei Spanien bleiben möchten.

Und privat? Da ist er ein bekennender Wagner-Fan. »Aber die Sachen kann man mit so einem Chor nicht singen, deshalb machen wir lieber Verdi.« Auch Kunst ist seine Leidenschaft – er hat sogar ein paar Semester Kunstgeschichte studiert. Und schließlich hat er eine Obsession für die Literatur. Hermann Hesse und Thomas Mann hat er in Barcelona in der Übersetzung verschlungen – »jetzt kann ich die Sachen endlich auf Deutsch lesen«, freut er sich. Wobei sein Deutsch bewundernswert gut ist. Ein Multitalent, dieser Marcel Martínez! (GEA)

Kammerchor Reutlingen: 18. März, 20 Uhr, Christuskirche, Reutlingen

Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers