Konzert - Kammerchor und Kammerorchester

Wie im Weihnachtsfilm

VON ISABELLE WILTGEN

REUTLINGEN. Ein Chor singt in einer Kirche englischsprachige Weihnachtslieder, über ihm leuchten drei Kerzen des Adventskranzes. In einem der Nebenschiffe kommt ein Kleinkind auf seine Mutter zugelaufen, sie umarmen sich. Im voll besetzten Mittelschiff lacht ein Baby, einige aus der Reihe davor drehen sich um und begrüßen das Lachen mit einem zufriedenen Schmunzeln. Alles leuchtet hell und warm.

Das klingt wie eine Szene aus einem sentimentalen amerikanischen Weihnachtsfilm, ist aber tatsächlich passiert, nämlich letzten Freitag in der Marienkirche. Ja, das ganze Konzert war sentimental. Aber wer hat denn schon etwas gegen ernst gemeinte Gefühlsseligkeit, vor allem an Weihnachten?

Der Kammerchor Reutlingen singt Weihnachtsmusik von John Rutter, einem in England recht bekannten zeitgenössischen Komponisten, der zusammen mit Sir David Willcocks eine vierbändige Weihnachtsliedersammlung »Carols for Choirs« herausgegeben hat. In seiner Musik hört man wenig Dissonanzen und viele schöne Kadenzen – es ist eine sonnige, optimistische Musik, Weihnachtsmusik eben, die das Herz erwärmt. Wer darin falsche Sentimentalität heraushört, der übersieht die strahlende Kraft, die diese Musik ausübt.

Aus einer Puccini-Oper

Begleitet wurde der Chor vom Reutlinger Kammerorchester, geleitet von Robert Wieland, das an dem Abend auch einzeln auftrat, und zwar mit Musik von Giacomo Puccini, unter anderem mit dem Intermezzo aus der Oper »Suor Angelica«. Die Oper hat thematisch zwar nur wenig mit Weihnachten zu tun, musikalisch aber passt sie durchaus in den Rahmen eines Weihnachtskonzertes: Sie ist romantisch, sentimental, süßlich. Am Ende des Stückes erklingt aus der Flöte im Orchester eine hinreißende Melodie – engelsgleich könnte man die Flötenstimme auch nennen.

Umrahmt wurden die Musikstücke des Abends durch Texte – Lesungen über die Weihnachtsgeschichte, darüber, was sie bedeuten kann, was sie mit uns emotional tut und warum man diese Geschichte immer wieder hören kann.

Auch musikalisch wird die Weihnachtsgeschichte an diesem Abend immer wieder erzählt – ob im »Angels Carol« von John Rutter, »El Noi dela Mare« von Albert Guivonart oder in der berühmten »Cantique de Noël« von Adolphe Adam, dem Komponisten des berühmten Balletts »Giselle«.

Der junge Leiter des Kammerchors, Marcel Martínez, führt seine Sänger ganz präzise durch die teils gar nicht so einfache Musik. Gerade Adams »Cantique« ist von großen Intervallsprüngen geprägt. Martínez gibt dem Chor klare Zeichen, die Sänger intonieren korrekt, die Aussprache der englischen, französischen und spanischen Texte klappt makellos.

Ein gelungenes Programm, das auch ganz gut in einen Weihnachtsfilm gepasst hätte – doch warum Film? Das war doch keine Fiktion, das war einfach: Weihnachten! (GEA)

Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers