Konzert - Der Reutlinger Kammerchor begibt sich auf einen musikalischen Wochenend-Ausflug. Mit auf Tour: Kästner, Tucholsky und Tonne-Schauspieler Thilo Prothmann.

Seefahrt mit Kaktus

VON ARMIN KNAUER

REUTLINGEN. Wer in einem Jahr gleich zwei tiefernste Projekte auf sich lädt, hat dazwischen etwas Erholung verdient. Der Reutlinger Kammerchor hat das Brahms-Requiem gerade hinter sich, das Duruflé-Requiem noch vor sich - da gönnten sich die Vokalkünstler aus der Achalmstadt zwischendurch eine kleine Spritztour. Und so wölbte sich ein blütenblauer Ferienhimmel über diesem freitagabendlichen Konzert in der gut besuchten Reutlinger Stadtbibliothek.

Gut gelaunt und bestens bei Stimme jubelten die Schützlinge von Dirigentin Christa Feige "Wochenend' und Sonnenschein" entgegen. Holen den "Kleinen grünen Kaktus" vom Fensterbrett und packten die "Badehose" ein. Die Frauen des Chors träumten den "süßesten Früchten" nach - vielleicht in Gestalt des strammen "Seemanns Mäcki"? Wenn man in dessen starken Armen landete, konnte man die Schuld ja immer noch auf den "Bossa Nova" schieben.

Die Männer des Chors ergingen sich da lieber in Nostalgie, schluchzten dem "Ännchen von Tharau" nach und der schönen "Loreley". Und fragten sich mit einem wehmütigen Seufzer, was das alles wohl bedeuten solle: Da sitzt man eben noch lauschig immer unterm "Lindenbaum" und weiß doch genau: "Morgen muß ich fort", vielleicht sogar "zum Städtele hinaus".

Aber ist solch melancholischer Weltschmerz das, was Frauen sich erhoffen, wenn sie ihrem "Bel Ami" zurufen "Liebling mein Herz lässt dich grüßen"? Wohl kaum, und so konstatierte Tonne-Schauspieler Thilo Prothmann denn auch zum Gelächter der Damen im Publikum, der Mann sei zum "Beamten der Liebe" verkommen. Und warf auch sonst mit Kästner und Tucholsky so manch spöttischen Blick auf das allgemeine Treiben: auf die "Kleine Stadt am Sonntagmorgen" den "Badetag" in Berlin und die Träume vom großen Glück ("neun Zimmer, nein, besser zehn, vorne die Ostsee, hinten die Friedrichstraße").

Kurzum: ein netter Ausflug, zu dem Axel Krauß den Beat schlug, Gerhard Ziegler den Bass zupfte und Christiane Falk in die Tasten griff - sie alle gleichermaßen einfühlsam wie mitgestaltend, was keine Selbstverständlichkeit ist.

Schwere leichte Muse

Wie überhaupt die leichte Muse ja keineswegs leicht zu machen ist: Die schwingenden Melodiebögen, das locker plätschernde Parlando, die süffigen Harmonien, der große Schwung, das Quäntchen Sentimentalität und das augenzwinkernde Lächeln - all das will erarbeitet sein, und all das gab's reichlich in der Stadtbibliothek. Allenfalls, dass man hier und da noch stärker hätte aus sich herausgehen können, noch einen Tick mehr das Überkandidelte herausstellen, das jenseits aller Präzision natürlich auch in diesem Liedgut steckt.

Aber da ist die kleine Spritztour auch schon zu Ende, und schon bald ruft der Ernst des Lebens wieder: in Form des Requiems von Duruflé. Zu erleben am 12. November in Gönningen.


Mit freundlicher Genehmingung des Reutlinger Generalanzeigers